Oksana K., 47, Ärztin, Khmelnizki Region
Interview: Natalija Yefimkina, 26.2.2022
„Mein Name ist Oksana K. ich bin 47 Jahre alt. Ich bin zivile Ärztin und arbeite am Institut für Onkologie. Als stellvertretende Direktorin bin ich dort verantwortlich für die Organisation des medizinischen Dienstes, vor allem für die Koordination der Ärzte.
Bis gestern habe mich um krebserkranke Patienten gekümmert.
Wir haben uns darauf vorbereitet, Verwundete aus der Zivilbevölkerung aufzunehmen. So lief der Tag ab. Wir haben Blutkonserven für den eventuellen Bedarf vorbereitet.
Wir hatten hier 600 Krebspatienten, die meisten haben wir entlassen. Ca. 100 Patienten sind geblieben, hauptsächlich deshalb, weil ihre Verwandte sie nicht abholen können.
Die ganze Belegschaft arbeitet in einem sehr kräftezehrenden Modus. Es ist schwierig, überhaupt hierher zu kommen. Viele Kollegen wohnen weiter weg, außerhalb der Stadt. An der Strecke gibt es viel Beschuss, man kommt kaum durch. Es gibt die Ausgangssperre, keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Mitarbeiter sind 2-3 Tage am Stück im Dienst.
Von 3 bis 6 Uhr morgens gab es bei uns Luftalarm und die Sirenen heulten, wir mussten alle evakuieren und uns im Keller verstecken, das war wirklich schwer.
Wir haben an Krebs erkrankte Kinder, die eine Transplantation hinter sich haben. Die bringen wir nicht aus dem Keller, wir haben dort die Versorgung organisiert.
Sie können sich ja vorstellen, wie unsere Keller ausgestattet sind. Zu sehen, wie die Kinder da liegen, ist eine Katastrophe.
Sie leiden ja ohnehin, und wir können sie nicht richtig beschützen oder sie dort unten angemessen medizinisch versorgen. Sie müssen im Keller liegen unter diesen existierenden Verhältnissen.
So ist derzeit unsere Situation. Wir sind außerhalb der Stadt, an einem Ort, den ich nicht genauer benennen werde.
Die Lage hier ist kritisch. Die ganze Nacht gab es heftige Kämpfe, am Morgen hatten wir viele Verwundete. Unter den Leuten von ORDLO (ukrainische Abkürzung für die derzeit besetzten Donezker und Luhansker Gebiete) gab es keine Verwundeten, nur 200 (A.d.Ü: 200 – militärischer Code im postsowjetischen Raum für Kriegstote/Gefallene).
Heute sind wir auf uns selbst gestellt. In der Nähe wurde ein Militärstützpunkt angegriffen, gestern wurde bombardiert. Der Angriff wurde abgewehrt. Wir vermuten, dass sie uns diese Nacht wieder bombardieren werden, weil sie sehr wütend sind.
So beginnt bei uns also der Tag.
Und jetzt warten wir auf die Nacht, Sabotagegruppen arbeiten..
Russen ziehen Uniformen des ukrainischen Militärs oder der ukrainischen Polizei an und schießen auf unsere Leute, das ist unsere Situation.
Wir haben schon einen schwer Verwundeten und einen 200er. Also einen Toten.
Das war der erste Todesfall. Er starb in meinen Armen. Als der Junge hergebracht wurde, war er noch am Leben. Aber es war aussichtslos, der Schuss ging in seinen Hinterkopf. Wir konnten ihn nicht retten.
Die Bürger haben sich selbst organisiert, wir haben nicht genug Waffen, wir haben Schlangen bei den Militärkommissariaten. Unsere territoriale Verteidigung hat sich versammelt – 300 Mann, die bereit sind, uns zu verteidigen.
Wir warten darauf, dass wir Ausrüstung bekommen, vor allem Schutzwesten. Wir haben einen Hilfepunkt eingerichtet die medizinische Ersthilfe. Es gibt ein Krankenhaus, das eine Aufnahmestelle hat, und wir sind hier vor Ort mit der territorialen Verteidigung, viele Zivilisten, viele Kinder im Keller.
Es ist jetzt sehr gefährlich in der Ukraine, in allen Städten wird geschossen, Menschen versuchen, aufs Land zu fahren, weiter weg von den Städten. Weil auch die Wohngebiete, Häuser bombardiert werden. Es gibt keine sicheren Orte in der Ukraine.
Mein Mann ist bei mir, die Kinder haben wir an einen sichereren Ort gebracht. Sie sind noch nicht volljährig.
Sie haben sehr viele Waffen, die einzige Hoffnung ist, dass sie nicht genug Treibstoff haben. Sie verwenden sie so viel Militärtechnik.
Und wir… Unsere Armee ist stark, Jungs und Mädels beschützen uns. Aber wir als Zivilbevölkerung wollen auch uns an der Vernichtung des Feindes beteiligen. Wir haben sehr auf die Hilfe von Europa und den USA gehofft, wir haben sehr gehofft, dass sie den Luftraum schützen würden, aber keiner will uns dabei helfen. Dass sie uns Waffen geben, ist natürlich gut, aber wir brauchen einen sicheren Luftraum. In Anbetracht der russischen Taktik, strategisch wichtige Objekte wie bspweise auch Atomkraftwerke einzunehmen, müsste Europa wenigstens an sich denken, wenn schon nicht an uns.
Sollte ein Atomkraftwerk explodieren, wird nicht nur das ukrainische Volk leiden. Alle wissen, dass Tschernobyl bereits von den Russen eingenommen wurde. Wir versuchen es, aber sie verstehen ja…
Europa, Ihr hättet das bedenken müssen.“